Cruiser vs. Roller - mein erster Fahrbericht
Seit zwei Wochen habe ich sie nun. Den, die oder das Integra. Die letzte Tour mit meinem Cruiser vom Teutoburger Wald nach Wilhelmshaven über Landstraße entwickelte sich sozusagen als Abschied von der Motorradfahrergilde. Seit der Rückfahrt mit dem Integra grüßt mich fast kein Schwein mehr. Ist wohl der Tribut, den man zahlen muss, wenn man es besser haben will. Nun ja, wirklich wichtig ist das ja nun nicht. Scheiß´ drauf.
Der Umstieg ist im ersten Moment doch etwas brutal. Da fährt man gut drei Stunden mit dem Cruiser auf Höhe der Radnaben der meisten LKW und Busse, die Hände lässig am breiten Lenker, die Beine langgestreckt nach vorne mit der Sohle irgendwo links und rechts neben dem Kühler, alles oberhalb des Bauchnabels geschützt durch ein voluminöses Rentnersegel und dann der Umstieg auf den Integra.
Auf den ersten paar Kilometern muss das erst einmal verarbeitet werden. Die relativ hohe Sitzposition sorgt nun dafür, dass ich an der Ampel nur noch mit dem halben Fuß Bodenkontakt halten kann – das liegt wohl an meiner 30ér Beinlänge bei den Jeanshosen. Kann Honda was dafür, dass ich so kurze Beine habe? Gibt es anders herum mal gefragt, eigentlich keine Japaner mit langen Beinen, die wegen Platzmangel an der Verkleidung anstoßen? Ist aber auch Alles nicht so schlimm, bei der Varadero XL 1000 vor ein paar Jahren war das noch viel unangenehmer. Und da bin ich ja auch nicht umgefallen. Also egal, erst mal tanken.
Auf der Suche nach dem Tankdeckel fiel mir dann ein, dass Harley bei der V-Rod das Schorchelloch auch unter die Sitzbank verlegt hat. Bin also in guter Gesellschaft. Wäre nur ein bisschen weniger peinlich gewesen, wenn ich bei der Übergabe nicht so überheblich getan hätte – von wegen „Hab ´schon eine ausführliche Probefahrt gemacht und weiß Bescheid“. Im Nachhinein fällt mir wirklich keine Probefahrt in den letzten 30 Jahren ein, bei der ich an der Tankstelle war. Aber auch dieses Problem ist dann mehr oder weniger elegant und schnell gelöst und ich kann mich auf die Rückfahrt begeben.
Also dann, Helm auf, Handschuhe an und auf den Roller geschwungen. Aber wie? Ich bin doch jetzt Rollerfahrer. Also erst mal Hände an den Lenker und die Beine durch den rollertypischen Durchstieg vorne. Das geht nicht nur nicht, das sieht obendrein auch noch ziemlich albern aus. Geht sozusagen gar nicht. Also alles wie immer, Beine nach hinten und ab über die Sitzbank. Erste Zweifel kommen auf. Ist der Integra da wirklich in der richtigen Kategorie gelistet?
Von WHV geht es über Sande Richtung Varel. Bis dahin brauche ich auch, um mich an das neue Fahrgefühl zu gewöhnen. Auf dem ersten Stück gibt es ja nun noch nicht so viele Kurven, aber die knapp 30 km machen schon mal höllischen Spaß. Über Motor und Getriebe muss ich ja nicht mehr viel erzählen. Dessen Zusammenspiel mit dem Fahrwerk ist einfach Klasse. Das Ding fährt sich (fast) wie ein Fahrrad. Leichtfüßig, agil und lebhaft marschiert der Integra über die Landstraße, automatisch gesteuert vom D-Modus des DCT – genau wie ich vor kurzem in einer Motorradzeitschrift gelesen habe: Gasgeben, Bremsen, Basta! Gegend angucken! Vielleicht nicht zu viel, auch zwischen WHV und Varel kommt mal ´ne Kurve. Die erkennt der Integra noch nicht von alleine (das kommt erst in der Star Wars Version, wenn er fliegen kann). Ich will ja auch nicht Taxi fahren.
Weiter geht es dann Richtung Oldenburg und dann über Vechta, Diepholz, Bohmte in Richtung Bad Essen. Natürlich halte ich mich auf dieser ersten Fahrt zurück, stelle aber doch sehr früh fest, dass ich deutlich schneller unterwegs bin als auf der Hinfahrt. Integra fahren hat nix mit Cruiser fahren zu tun. Das ist doch schon eine andere Welt. Natürlich lädt die aufrechte und entspannte Sitzposition zum gemütlichen Fahren ein. Es ist aber eher so etwas wie Tourenfahren. Nicht Cruisen. Cruisen macht man so zwischen 60 und 80 km/h. Schon alleine, um die Autofahrer zu ärgern. Mit dem Integra macht es einfach viel mehr Spaß, ein wenig schneller durch die Kurven zu fahren, und diese auch mal zu „erleben“. So was macht kein Cruiserfahrer. Die haben zwar keine Angstnippel unter den Fußrasten, dafür aber ziemlich tief liegende und breite Trittbretter. Versucht bitte erst gar nicht, damit eine Kurve zu „erleben“. Das geht in die Hose!
Im Verlaufe der Fahrt kommen mir immer wieder Zweifel, ob der Integra wirklich als Roller durchgeht. Das straffe Fahrwerk, ein günstiger Schwerpunkt und das leichte Handling vermitteln eindrucksvolles Motorradfahrgefühl. Ok, das mit dem Knieschluss klappt nicht richtig und so ganz mit dem Hintern lenken lässt er sich auch nicht. Aber ich bin ja nun wirklich nicht in jeder zweiten Kurve im 45 Grad-Winkel unterwegs. Vielleicht sage ich demnächst doch nicht DER Integra sondern DIE Integra.
Von Bad Essen nach Melle gibt es eine sehr kurvenreiche Landstraße, die mitten durch die Meller Berge führt (was man da so „Berge“ nennt). Die nehme ich mir vor und will mal das Fahrverhalten in engen – wirklich engen Kurven austesten. In Bad Essen angekommen, biege ich auf die bei vielen Motorradfahrern ziemlich beliebte Strecke ein, die ich mit meinem Cruiser schon lange nicht mehr befahren habe – wozu auch. Hatte ja immer Trittbretter als Spaßbremse in Kurven.
Mir fällt auf, dass die Warnschilder nicht mehr da sind, mit der die Strecke am Wochenende für Motorradfahrer in letzter Zeit immer gesperrt war. Mir geht gerade durch den Kopf: „Komisch. Haben diese Lokalpolitiker sich das überlegt und sind wieder vernünftig geworden?“, da rappele ich vor einer Kurve über eine ganze Reihe von kleinen Bodenwellen, die im Abstand von 30-40cm auf die Fahrbahndecke aufgebracht sind. Das Ganze begleitet von einem 50 km/h-Schild. Wenn ich da mit 50 drüberfahren würde, hätten meine angeschlagenen Bandscheiben nichts mehr zu lachen. Im Verlaufe dieser wunderschönen „ehemaligen Teststrecke“ haben diese Lokalpolitiker vor jeder Kurve diese Bodenwellen aufbringen lassen. Frei nach dem Motto: „Wenn wir die Strecke nicht sperren können, dann vermiesen wir sie den Bikern eben.“ Tolle Wurst. Wird also nichts mit Kurvenfahren.
Nur gut, dass der Fiesta-Fahrer da vor mir auch so richtig super durchgeschüttelt wird. Vielleicht sollten sich die Motorradfahrer einfach bei den Bodenwellen an den Straßenrand stellen und diesen hüpfenden Köpfen in schlecht gefederten PKW zujubeln und darauf hoffen, das dem Einen oder Anderen dabei vor Schreck die Zigarette oder der Lolli aus dem Gesicht fällt. Vielleicht fällt ja auch mal ein Navi von der Windschutzschreibe, erschreckt den Autofahrer und der hängt dann windschnittig in der Leitplanke. Das wär´ doch mal was…
Kurz vor der heimatlichen Garage zieht es mich nach einem Blick auf die gefahrenen Kilometer auf eine Tankstelle. Wenn ich die Strecke mal zusammenfasse, dann komme ich auf moderate Fahrweise, viel Landstraße so um die 100km/h, ab und zu mal einen Schnarchhahn überholt, wenig Stadtverkehr und insgesamt nicht schneller als 130 km/h. Tankergebnis: 3,17l/100km. Donnerschlag! Das ist mal ´ne Hausnummer.
Die Woche drauf beginnt dann der Alltag für das neue Töff. Berufspendler. 23km jede Strecke. Morgens und Abends. Die Hälfte davon Stadtverkehr. Bei der zweiten Tankfüllung liege ich bei 3.3l/100km. Immer noch Donnerschlag! Und dann die erste Regenfahrt. Auch 23km. Man, sieht die Karre aus. Total versaut. Wie mein Cruiser (früher, muss ich ja jetzt sagen). Aber anders als beim Cruiser habe ich den ganzen Rest der Woche überhaupt kein schlechtes Gewissen, mit einem dreckigen Zweirad durch die Gegend zu fahren. Ist schon irgendwie entspannter.
Am Wochenende ist dann saubermachen angesagt. Mal sehen: Nass machen, Motorradreiniger aufbringen, einwirken lassen, abspülen, mit dem Lappen abtrocknen, Spiegel und Scheibe noch ein wenig nacharbeiten und fertig. Und noch einmal Donnerwetter! Keine halbe Stunde und der Dreckspatz ist wieder sauber. Für den Cruiser war bei solchen Aktionen inklusive Chromputzen immer der ganze Samstag reserviert. Spätestens jetzt weiß ich, dass ich alles richtig gemacht habe! Hoch lebe DIE Integra!
Nächste Woche ist die 1000 er Inspektion fällig. Da wir hier im Teutoburger Wald scheinbar ein wenig gierigere Händler haben, wird das wieder eine schöne Fahrt nach WHV – diesmal mindestens auf dem Rückweg durch das Emsland. Ich kenne da einen tollen Landgasthof mit leckerem Essen…
Ürigens, wer es noch mal deutlich lesen möchte: nach den ersten 600km bin ich ein überzeugter Rollerfahrer - sollen die Motorradfahrer denken, was sie wollen!