Hallo Elmold,
ich kenne mich mit der Geschichte durchaus gut aus. Und ich mag das Argument "Gnade der späten Geburt" überhaupt nicht. Denn auch schwierige Zeiten rechtfertigen keinen Krieg und keinen Völkermord. Natürlich sind die Menschen damals mit den Rassenwahn indoktriniert wurden, und natürlich war Antisemitismus Mainstream und und und.
Aber das hieß nicht, dass es unmöglich war, sich dagegen zu wehren oder auch nur nicht mitzumachen. Mein Urgroßvater ist im ersten Weltkrieg desertiert, im zweiten hat er sich dem Widerstand angeschlossen, im Jahr 1942 kam er dafür ins KZ Buchenwald. Er starb wenige Jahre nach dem Krieg an den Folgen der dort erlittenen Misshandlungen. Er hinterließ eine Frau und vier Kinder. (Die übrigens in der Nazizeit schwerste Repressalien durchlitten!)
Und unabhängig davon geht es ja auch nicht nur um die Frage, ob die Mitläufer des Naziregimes damals hätten Widerstandskämpfer werden sollen oder nicht. Es geht auch darum, wie die Deutschen mit ihrem Erbe umgingen.
Erst im Jahr 2009 (!) wurden die letzten Widerstandskämpfer vom Bundestag rehabilitiert. Bis dahin galten Leute, die gegen das Naziregime gearbeitet haben, als Verbrecher, und die, die die Naziverbrechen unterstützt haben, waren Helden!?
Auch ein Helmut Schmidt hätte da mehr Sühne zeigen können und mehr zur Aufarbeitung beitragen können. Diese Haltung "wir konnten ja nicht anders, war damals halt so" ist schon sehr selbstgerecht. Denn spätestens nach '45 konnte man anders, ohne das es gefährlich für einen wurde, wollte aber trotzdem nicht.
Und ja, auch das gehört zu Helmut Schmidt.
Deswegen finde ich diesen Hype und diese Quasiheiligsprechung einfach völlig daneben.
Beste Grüße,
henry