Das Netz macht uns zu Rüpeln!

  • #1

    Auszüge aus der Juliausgabe der „Psychologie Heute“ als Anregung zum Nachdenken:


    Kaum ein Tag vergeht, an dem die Bürgerinitiativen, Pädagogen oder Politiker nicht Alarm schlagen. Die Forderung nach mehr Respekt schallt uns heute überall entgegen – in der Stadtteilversammlung, auf dem Fußballplatz und Schulhof oder in TV-Werbespots. Kein Bundesligaspiel im Fernsehen ohne den „Respekt“-Trailer. Wenn ein Gut so vehement eingefordert werden muss, scheint es rar geworden zu sein.


    Respekt ist die Idee einer Grenze der Unantastbarkeit, die jeden Menschen, ja jedes Lebewesen umgibt. Sie schützt uns in unserer individuellen Würde, Autonomie und Unverwechselbarkeit.


    Respekt muss sich immer wieder neu gegen Kräfte behaupten, die ihn aushebeln: Voreingenommenheit, Vorurteile oder negative Energien, die auf uns gerichtet werden. Doch heute wird unsere Fähigkeit zum respektvollen Umgang mit anderen auf ganz neue Weise herausgefordert. Es sind die Folgen der „Hypervernetzung“, die uns zu schaffen machen.


    Tatsächlich belegen Studien, etwa jene des Karlsruher „Bündnisses gegen Cybermobbing“ aus den Jahren 2013 und 2014, dass heute jeder dritte Erwachsene einen persönlichen Mobbingfall erlebt hat, davon bereits jeder zehnte im Internet.



    Gift für Respekt: Anonymität:


    Komplett anonym geht es in vielen Chatforen zu, in denen sich heutzutage Hunderte Millionen Menschen mit selbst erfundenen Decknamen austauschen. „wirklicher Respekt – nicht Höflichkeit – ist ein dyadisches , meist synchrones und nicht anonymes Phänomen“, meint Niels van Quaquebeke, Gründer der „RespektResearchGroup“ an der Universität Hamburg und der „Kühne Logistics University“, „online gibt es einige Kommunikationswege, auf die diese Kriterien nicht zutreffen“.


    Ingrid Strobl, Autorin des Buches „Anders miteinander umgehen!“, spricht von der „Verdinglichung des zwischenmenschlichen Kontakts“ durch moderne Medien. „Es ist etwas anderes, wenn ich einem Menschen real gegenüberstehe, ihn ansehe, mit ihm spreche, als wenn ich nur virtuell mit ihm kommuniziere. So etwas wie das instinktive Wahrnehmen von Gefühlen beim anderen, von Stimmung, von Verletzung, Angst, Freude geht nur von Angesicht zu Angesicht. Virtuell aber ist das unmöglich. Das heißt, man lässt sich nicht wirklich auf den anderen Menschen ein. Man kommuniziert von Buchstabe zu Buchstabe. Damit verringert sich auch der Respekt vor dem anderen Menschen.“
    Simon Schnetzer, der als Autor an der Studie „Toleranz Online 2014“ beteiligt war, geht noch weiter: Viele User – egal welchen Alters – fühlen sich im Netz unbeobachtet oder tun ihr Verhalten dort mit der Aussage ab: 'Das ist ja eh nicht Real Life!'“


    Auch altersübergreifend versteigen sich Onlineuser im Netz zu Ruppigkeiten, die es ohne Anonymität nicht gibt.


    In der Anonymität haben User für Grenzverletzungen keine Sanktionierung zu befürchten – und das scheint Hemmungen abzubauen, die ansonsten einen respektvollen Umgang untereinander garantieren.



    #mtherfckr oder: Kommunikation unter Flegeln


    Im großen Niemandsland des Internets sprechen Menschen, die sich gänzlich fremd sind, eine Sprache wie sie sonst allenfalls unter jenen üblich ist, die sich sehr gut kennen.


    Man gibt sich unkompliziert, direkt duzt andere, klickt sie aber beim Auftreten erster Missstimmungen einfach weg. Was schon leichtes Unbehagen erzeugt, wird giftig beantwortet.


    In der Kommunikation via Facebook, Twitter oder sogar per E-Mail herrscht oft ein rüder und nicht selten ein übergriffiger Ton – den man niemals anschlagen würde, säßen sich da zwei Menschen von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
    Die Sprache verkümmert, verflacht wird derb oder infantil, auch formelhafter, oberflächlicher, weniger vielfältig, weniger reich.


    Im Netz regiert eine Gesinnung des Hopp oder Top, man bewertet wie einst in Roms großen Arenen mit Daumen hoch oder runter – egal, ob bei einem Musikvideo oder nach dem Kauf eines Dachständers für den Pkw. Oder eben bei der Bewertung eines Diskussionsbeitrags – es scheint, Pöbelei wird nicht mehr als Grenzüberschreitung gewertet, sondern als Ausdruck von herzhafter Spontanität.


    Die ganze Welt erscheint wie ein großer Robinson Club, an dessen Empfangstresen man mit „Hey, ich bin Marvin“ empfangen wird: „Na, alles klar?“ „Alles gut!“Man verabschiedet sich mit zur Raute gekreuzten Zeige- und Mittelfingern: Hashtag yolo!“ - was Eingeweihte umgehend als Abkürzung für „You only live once!“ decodieren. Eine eigenartige Entwicklung: Nähe wird überall simuliert, aber in einem dazu in Widerspruch stehenden unverbindlich-anonymen Ton.



    Wie Respekt gelingt


    Alles Sozialleben wird regiert von einer empfindlichen Balance von Nähe und Distanz.
    Es gelingt dann, wenn wir den richtigen Abstand von- und zueinander finden. Und immer ist, wie Georg Simmel in seiner „Soziologie“ von 1903 geschrieben hat, Nähe „die Bedingung für Glück und Zwang gleichermaßen“.
    Das Internet verkürzt und egalisiert alle sinnvoll austarierten Sozialdistanzen: Am Ende rücken sich alle immer näher auf die Pelle und scheitern darin, den Abstand wenigstens dort einzuhalten, wo er nötig ist. Mittlerweile sehen Kommunikationswissenschaftler, Netzbenutzer und -betreiber die Verteidigung des Respekts gegen permanent drohende Grenzverletzungen als die große Aufgabe unserer digitalen Zeit.
    Respekt vermehrt sich nicht automatisch im selben Maß, in dem unsere Freiheit zunimmt. Es ist ein alter Trugschluss des Liberalismus: Ein Abbau von Zwängen und Regeln befördert respektvolles Handeln keineswegs automatisch. Im Gegenteil: Die Entwicklung zu immer mehr Liberalität ist immer auch eine Gefahr für den Respekt, den wir uns gegenseitig zollen.


    „Unsere Kommunikationskultur im 'Real Life' hat sich über Jahrtausende entwickelt – es ist an der Zeit, die Regeln für die digitale Welt zu definieren und viel Bildungsarbeit zu leisten“, resümiert Simon Schnetzer.
    Wie könnte man mehr Respekt in die schöne neue Welt bringen?
    Niels van Quaquebeke hat eine einfache Antwort: „Genauso wie in der schönen alten Welt. Einfach etwas nachdenken, bevor man agiert. Und in diesem Prozess reflektieren, welche Konsequenzen die eigene Kommunikation für andere haben könnte.“
    Und wenn der Respekt schon verletzt ist? Hier muss die Antwort lauten: „Aktiv werden, um Respekt kämpfen!“, wie es die Anti-Cybermobbing-Initiativen fordern. Sich zu wehren, so wie es der 19-jährige Benjamin Drews (Pseudonym) getan hat, einer, der über lange Zeit ein Mobbingopfer war und auf Facebook viele Schmähungen, meistens wegen seiner Körperfülle, über sich ergehen lassen musste. Er hat unlängst in Eigenregie ein Anti-Mobbing-Video gedreht, es ins Netz gestellt und mit über 1,5 Millionen Klicks nicht nur einen Facebook-Hit gelandet, sondern eine Welle der Solidarität ausgelöst.


    Es grüßt
    sin_moto

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    Einmal editiert, zuletzt von sin_moto ()

  • #2

    Na, hoffentlich haste dir das auch selbst gut durchgelesen. ;)

  • #3


    Mehrmals sogar, denn ich musste ja das meiner Meinung nach Wichtigste rausfiltern... ;).


    Es grüßt
    sin_filter

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  • #4

    Meiner Meinung nach ist das Wichtigste fett gedruckt als größtes Respektproblem ganz vorn genannt. :D



    Da bin ich ja zukünftig auf deine neuen Erkenntnisse gespannt. ;)

  • #6

    Das mag alles fundiert und richtig sein. Es fehlen aber auch wichtige Aspekte: in Foren begegnen sich Menschen aller Gesellschaftsschichten, unterschiedlicher Bildungsniveaus, die im realen Leben sich nicht begegnen und nicht miteinander reden würden. Darin liegt ein Konfliktpotenzial, das wir hier schon öfter beobachten konnten.


    Was mich in dem Beitrag wirklich ärgert, ist die Ansicht, Anonymität führe unweigerlich zum Niveauverlust. Sie mag die Hemmschwelle bei manchen senken, sie ermöglicht manchen (wie u.a. mir) aber auch erst die Teilnahme auf durchaus niveauvollen Niveau. Die Entgleisungen in diesem Forum kommen häufig von Bebra-Teilnehmer; Bekanntheit schützt also nicht vor Respekt- oder Niveauverlust.


    Und übrigens @wossi: wer im Glashaus sitzt sollte....

  • #7

    Der Thread hat eindeutig Potenzial. :D


    Glashäuser sind nix für mich, eindeutig zu viel Arbeit beim Putzen, außerdem bin ich kein Gärtner.
    Und das gerade die Teilnehmer von Bebra für Entgleisungen hier sorgen, ist schlichtweg eine Unterstellung.


    Ich halte die These des Zusammenhangs zwischen Anonymität und Respektlosigkeit jedenfalls für gegeben.
    Das bedeutet natürlich nicht, dass jeder der hier anonym unterwegs ist, automatisch respektlos anderen gegenüber ist.


    Warum aber die Anonymität erst die Teilnahme am "niveauvollen Niveau" ;) ermöglichen sollte, verschließt sich mir völlig. :think:

  • #8


    Nicht gerade aber auch.



    Genau, darum ging es mir.



    Besser verständlich (und ohne weißen Schimmel ;) ) hätte ich auch schreiben können: Für manche ist eine Teilnahme nur anonym möglich und kann aber trotzdem niveauvoll sein.

  • #9


    Deinen Beitrag verstehe ich, wenn ich ehrlich bin, nicht.
    1. wenn sich Menschen unterschiedlicher "Gesellschaftsschichten" und unterschiedlichen Bildungsniveaus begegnen heißt das noch lange nicht, dass etwa bestehende Meinungsverschiedenheiten "rüpelhaft" oder "niveaulos" ausgetragen werden müssen. Ich habe nahezu täglich mit unterschiedlichen sozialen Schichten zu tun und versuche mich auf den jeweiligen Gesprächspartner einzustellen, was meist auch gelingt. Auch in Bebra treffen unterschiedlichste Menschen aufeinander - Konflikte habe ich dort noch nicht erlebt.


    2. warum ermöglicht Dir die Anonymität "erst die Teilnahme auf niveauvollem Niveau"? Bist Du, wenn Du nicht anonym bist, ein ständig rumrüpelnder und niveauloser Zeitgenosse? Komische Aussage, die mir nicht wirklich überlegt zu sein scheint ( abgesehen davon dass ich nicht weiß was ein "niveauvolles Niveau ist ;) ).


    3. ich bin mir sogar sicher, dass die "Bekanntheit" (meinst Du nicht eher Bekanntschaft?) vor "Respektlosigkeit oder Niveauverlust schützt". Scharmützel unter z.B. Bebra- Teilnehmern scheinen mir eher die Ausnahme. Hiervon zu unterscheiden ist allerdings Ironie; diese kommt sicher unter miteinander bekannten Menschen häufiger vor, hat aber nichts mit Respektlosigkeit zu tun.


    4. den Hieb in Richtung Wossi verstehe ich auch nicht im Ansatz - Wossi sagt durchaus seine Meinung und hinterfragt kritisch. Als niveaulos oder rüpelhaft habe ich ihn jedoch noch nie empfunden - weder vor noch nach Bebra.

  • #10

    @Hasienda:
    zu 1: Was du schreibst, habe ich nicht behauptet. Ein Konfliktpotenzial liegt z.B. im unterschiedlichen Sprachgebrauch.
    zu 2: Habe ich oben schon versucht, klarzustellen.
    zu 3: Das nehme ich anders wahr. Ich meinte Bekanntheit, weil Bekanntschaft nach meinem Sprachempfinden einen persönlichen Kontakt voraussetzt, der über ein paar Infos aus dem Forum hinausgeht.
    zu 4: Sehe ich nicht anders. Es ging mir um seine Ermahnung an Sin, die für uns alle (also auch ihn) gelten sollte.

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